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Kritische Auseinandersetzung mit dem Forschungs- und Bildungskonzept der Klassik-Stiftung Weimar hinsichtlich der Bildungsarbeit

Die Sattelzeit der Moderne
Die Modernisierung der europäischen Gesellschaft hat die Aufklärung, Sturm und Drang, Klassik und Romantik (Sattelzeit) ausgehend vom französischen und deutschen Kulturraum als Bezugsparadigmen: Die Aufklärung ebnet den Weg zur Säkularisierung, indem sie Argumentationsstrukturen verweltlicht, Glaube durch Erfahrung ersetzt und damit die Grundlage für weltliche Philosophie liefert. Ausgehend von den Philosophen, die auffällig oft Söhne protestantischer Pfarrer sind, ebnet sich die funktionale Differenzierung der Gesellschaft ihren Weg über die absolutistischen Herrscher hin zum Einzelnen, lost das geburtsständische Prinzip ab und verändert damit grundlegend das Menschenbild und damit die sozialen Interaktionsgepflogenheiten und -Möglichkeiten. Das Bürgertum macht seinen ehemals ausschließlich finanziellen Einfluss durch Bildung und Leistung geltend. „Ich denke, also bin ich.“ Die neuen bürgerlichen Funktionseliten organisieren sich in Sozietäten, Lesegesellschaften und Geheimbünden wie der Freimaurerloge und bauen damit ein sich zunehmend weit verzweigtes kommunikatives Netz durch mehrere Zugehörigkeiten auf. Die intermediale Vernetzung folgt in logischer Konsequenz. In der Klassik und dem Sturm und Drang werden Philosophen zu Literaten, Literaten zu Theaterdramaturgen, Dramaturgen zu Prinzenerziehern, Prinzenerzieher zu Vätern – kurz: Sie wechseln ihre gesellschaftlichen Rollen bedarfsorientiert. Sie nehmen sich die Freiheit, die Religion konsequent durch politisches Handeln, Kunst und Kultur zu ersetzen, lösen die Polemik von Religion und Philosophie auf und stellen damit der Philosophie mit der Kultur ein weiteres Säkularisat zur Seite, um die Aufklärung konsequent und lustvoll voranzutreiben und die Glaubenslücke, die vormals durch Religion gefüllt war, mit Sinn zu füllen und so über Kultur nationalen Identifikationswert zu stiften. Religiöse idealistische Geschichtsschreibung wird durch kulturelle Sinngeschichtsschreibung Schritt für Schritt abgelöst. Die Romantiker unterstützen diesen Prozess mit dem Rückbezug auf Themen der mittelalterlichen Kultur, indem sie deutsche Volksmythen in Sagen und Liedgut ins Zentrum des Schaffens stellen, gleichzeitig aber die deutsche Sprache und das Bürgertum fokussieren. Die Romantik liefert damit die Grundlagen für unser gegenwärtiges Selbstverständnis als Privatmenschen und öffentlichen, das heißt politischen Menschen sowie dem Verständnis von sozialen und gesellschaftlichen Strukturen. Die romantische Integration von Kunst und Kultur in das alltägliche Leben hat die Modernisierung ins Private und damit in die Mitte der Gesellschaft getragen. Religion als einziger Bezugsrahmen und Konstante wurde innerhalb eines Zeitraums von weniger als 150 Jahren aufgelöst und die Basis für das wertende, empfindende, denkende Individuum gelegt. Seither ist Fortschritt und Scheitern jedes Einzelnen möglich, der frei, absichtsvoll und damit selbstverantwortlich entscheidet und handelt.

Kritik an der Aufklärung:
Die Aufklärung hat ihren Ausgang bei standesübergreifenden Funktionseliten, die die Säkularisierung vorerst ideologisch motiviert vorantrieben und ebenso gezielt wie die christliche Religion eine Trennung von Geist und Materie, eine Trennung von Verstand und Emotionen forcierte, dabei aber dem Verstand mehr Bedeutung beimaß.
Damit negiert die Aufklärung Persönlichkeits- und Geschlechterdifferenzen und liefert keine Antworten auf Genderfragen und Fragen die menschliche Psyche betreffend. Die Akteure der Klassik und Romantik haben Kunst und Kultur als Korrektiv dieses Missstandes weiterentwickelt, das auch heute in seiner freien Ausübung noch zu wenig Anwendung findet.
Den Menschen und seine sozialen Aktivitäten ausschließlich vernünftig, das heißt schlussendlich systemtheoretisch, zu betrachten, ist die Ursache für unsere gegenwärtigen gesamtgesellschaftlichen Probleme, die konsequent individuelle Bedürfnisse missachtet und dem Individuum schlussendlich eine „Planstelle“ im angenommenen System der Gesellschaft zuweist, statt von individuellen Bedürfnissen ausgehend Gesellschaft partizipativ zu gestalten. Die Errungenschaften der Aufklärung ersetzen das religöse Korsett durch das vernünftige Korsett – der Mensch ist mehr! In einer Zeit, in der sich heraus gebildete Ich-Identitäten Fähigkeiten der Selbstreflexion auf ihrem Bildungsweg aneignen, romantische Familienmodelle sich selbst überholen, Grenzen zwischen Wissen und gesellschaftlichen Systeme maximal durchlässig erscheinen und die Möglichkeiten der freien Kulturproduktionen und der Kunstrezeption durch das überstarke wirtschaftliche System und den damit verbundenen Konsequenzen für Kunst und Kultur sukzessive eingeschränkt werden, erscheint es unverantwortlich die individuelle Psyche und Gefühlswelt ins System der Intimität abzuschieben und somit aus dem gesamtgesellschaftlich Bezugssystem auszuklammern. Die reine Vernunft darf niemals siegen! Denn ihr ist Empathie unbekannt. Empathie hingegen ist die Basis für gelingende Kommunikation, reflektierte das heißt selbstständige Entscheidungen und insbesondere der Krisen- und Konfliktbewältigung sowohl innerhalb des Systems „Mensch“ als auch innerhalb des gesellschaftlichen Systems. Daher kann eine Pädogogik, die ausgehend von der Aufklärung kulturelle Bildung ausschließlich zu Erziehungszwecken hin zur Vernunft instrumentalisiert und so ausschließlich kognitives Wissen ins Zentrum des Interesses stellt, nicht zur Bewältigung der gegenwärtigen gesellschaftlichen Herausforderungen angesehen werden. Dass haben auch Goethe und Schiller verstanden und insbesondere Schiller verlieh in seinen Briefen über die ästhetische Erziehung konsequent der allgemeinen Persönlichkeitsbildung mit ästhetischen Mitteln Nachdruck.

Kritik am Bildungs- und Forschungskonzept:
Auch wenn die Klassik eine kulturelle Identität der deutschen Nation hervor gebracht hat, kann dies im Zeitalter globaler Handels- und Kommunikationsnetzwerke keine Orientierung mehr haben. Nationen sind ausgehend von Frankreich eine Erfindung des 18. Jahrhunderts -seinerzeits angemessene Strategie der Problembewältigung erscheinen sie heute wie auch andere Universallösungen obsolet. In einer Zeit, in der ausgehend von der künstlerischen Avantgarde des Dada und des Kubismus wie nie zuvor das Prinzip Collage in alle sich immer weiter verzweigende gesellschaftliche Subsysteme eindringt und die funktionaldifferenzierte Gesellschaft zur Realität geworden ist, definiert sich kein aufgeklärtes und empathisches Individuum über seine Nation, sondern vielmehr über sich selbst, seinen freien Willen, Individualität, Integrität und seine Peergroup. Die einende Kraft von Nationen, die später durch das Wirtschaftssystem ersetzt wurde, ist verpufft. Nicht umsonst legt die EU zahlreiche Förderprogramme auf, die die kulturelle Identität, die reflektierte Eigentätigkeit und interkulturelle Kommunikation fördern sollen. Identitätsstiftung muss beim Individuum und seiner Integrität ansetzen und erst in einem zweiten Schritt die Integration in Systemen beleuchtet werden. In der Pädagogik heißt das Zielgruppenorientierung, Kritiker schreiben Anarchie darüber. Wie in der modernen funktioal-differenzierten Gesellschaft eine Universal-Ethik ausgeschlossen ist, kann auch kein anderes System als universelles System anerkannt werden. Wie die Dichtung im 18. Jahrhundert die Störung vermeintlich sicheren Wissens zum Ziel hatte, kann ein kultureller Bildunganspruch der Klassik-Stiftung kein anderes Ziel verfolgen, ohne sich selbst und die Errungenschaften des Kosmos Weimar in Frage zu stellen.
Die im Forschungs- und Bildungskonzept 2010 enthaltenen Anmerkungen zu den Zielgruppen und daraus abgeleiteten Konsequenzen müssen in Teilen als Farce verstanden werden, wenn beispielsweise Willen bekundet wird, „die oftmals heterogenen lebensweltlichen Erfahrungen offensiv in den Blick“ zu nehmen und „Vorbehalte ebenso wie Verständnisbarrieren“ zu überwinden, im selben Atemzug allerdings ernsthaft die vorgeschlagene Frage „Wie viel Bürgertum steckt im Schloss?“ ausschließlich hinsichtlich der Zielgruppe kritisiert wird. Die Zielgruppe sind hier Schüler und Schülerinnen im Alter von 11 und 12 Jahren.
Dass Vermittlung kognitiven Wissens und Handlungswissens als Spagat verstanden und mit nötigem Respekt behandelt wird, leuchtet ein. Die Kulturelle Bildung, die Soziokultur und die Sozialpädagogik haben hier funktionale Methoden entwickelt, die reflektiert und bei konsequenter Beachtung der zielgruppenspezifischen Bedürfnisse zum Einsatz kommen müssen, um nicht in ihrer Wirksamkeit an Kraft zu verlieren. Dann könnte der Satz „In diesem Kontext können niedrigschwellige Angebote erste Zugänge eröffnen und damit den Grundstein für eine vertiefende Auseinandersetzung mit den in Weimar präsenten kulturellen Überlieferungszusammenhängen legen.“ auch eingelöst werden.
Mit Blick auf Schüler und Lehrer wird im Forschungs- und Bildungskonzept im deutschen Bildungswesen „tiefgreifende Transformationsprozesse“ und pädagogisch-didaktische Reformen benannt. „So wird etwa dem handlungsorientierten und fächerübergreifenden Lernen und außerschulischen Projekten ein immer höherer Stellenwert zugemessen. Zunehmend etabliert sich eine Lernkultur, die den kulturellen und sozioökonomischen Veränderungen im Gefolge der Globalisierung Rechnung trägt.“ Schulklassen soll eine projektorientierte, selbsttätige und kreative Annäherung an die Weimarer Klassik und das Bauhaus eröffnet werden, mit dem Ziel des nachhaltigen Wissenserwerb und Erwerb von Schlüsselkompetenzen. Dabei sollen insbesondere Schüler und Schülerinnen aus Förderzentren, Haupt- und Regelschulen vor allem mit Ausdrucks- und Kommunikationsformen der Jugendkultur angesprochen werden, obwohl auch 2011 Jugendkulturen „standesübergreifend“ sind. Die Klassik Stiftung wird in den nächsten Jahren niedrigschwellige Angebote entwickeln, dafür braucht es einschlägig erfahrene Pädagogen.
Diesen Absatz unterschreibe ich ohne Widerrede, sobald die Wege geebnet werden, diesen Anspruch einzulösen. Heute sind das reine Willensbekundungen – nicht hinreichend eingelöst. Aber um den Bogen zum Bauhaus aus Weimar zu spannen: Form follows function.
2011 gilt „Form follows content“.

Wie klingt Dein Weimar?

Am Samstag, den 18.12.2010, 18.00 Uhr präsentiert Radio Lotte und das Künstlerkollektiv iOver im Rahmen von „City of X – Das Lebensgefühl einer Stadt” das Hörstück “Stadtgeflüster” – ein Quasi-Audioguide, der sechs Orte aus der Perspektive von Weimarer Einwohnern vorstellt und zur Tour durch die Stadt einlädt. Veranstaltungsort ist Radio Lotte, Niketempel am Goetheplatz.

Das Projekt „City of X“ widmet sich dem Versuch eine zeitgenössische Perspektive auf die Stadt Weimar und ihre Randgebiete zu entwickeln. “Weimars Stadtbild ist geprägt von Touristengruppen und Stadtführungen, denen die Stadt als Kulisse für Erzählungen eines vorgeblich so geschehenen Weimars dient.” so Lucian Patermann, künstlerischer Leiter des soziokulturellen Projektes. City of X bedient sich dieser Strategie, des Erzählens einer Stadt, und erweitert den Fundus an Stadtgeschichten um die Perspektiven ihrer Bewohner.
Neun Weimarer haben Orte ihres Lebensraums zu einer Tour durch Weimar zusammengetragen. 3 Mal sind die Projekt-Teilnehmer die Tour gegangen. Kurze Interviews, Umfragen, Notizen, Assoziationsketten, Bildbeschreibungen und Gedichte sind entstanden – alles unter der Zielstellung diese Orte von Neuem kennen zu lernen. Aus den gesammelten Dokumenten dieser Rundgänge entstand das Hörstück “Stadtgeflüster”, ein Quasi-Audioguide.
Gemeinsam mit Audiopostkarten von verschiedenen Orten der Stadt, dem Mailboxexperiment „Wie klingt Dein Weimar?“ und dem Tagebuch wird „Stadtgeflüster“ auf dem Projektblog citydiaryx.blogspot.com veröffentlicht und im Januar bei Radio Lotte ausgestrahlt.

City of X im Netz:
Projektblog: citydiaryx.blogspot.com
Facebook: www.facebook.com/cityofx
Soundcloud: soundcloud.com/city-of-x

Ein Rektor schreibt Geschichte

150 Jahre zur Bauhaus-Universität Weimar – eine lange Geschichte mit Höhen und Tiefen, mit Kunst und Technik, mit Bauen und Gestalten. Gerd Zimmermann, der Rektor der Bauhaus-Universität, schreibt die Geschichte seit 40 Jahren mit.

In einem Interview beschrieben Sie die Bauhaus-Universität heute als „Serie von Paradoxien“. Können bzw. wollen Sie diese auflösen oder zumindest erklären?

Paradoxien in so fern, als hier scheinbar unvereinbare Welten verankert sind, die im Raum der Bauhaus-Universität ihre Verwandtschaft suchen : Einerseits das Antiakademische, das der Name „Bauhaus“ mitführt, andererseits die Konditionen einer Universität, einerseits die Kunst, andererseits die Wissenschaft. Es geht nicht darum, Paradoxien aufzulösen, sondern darum, eine Vielgestaltigkeit zu stiften, die nur möglich ist, wenn man Widersprüche aushält und diese produktiv macht. Die Universität kann dann in der Tat ein Ort „unmöglicher Begegnungen“ sein.

Herr Zimmermann, an welche dieser Paradoxien knüpfen Sie als Rektor der Universität heute an?

Die Bauhaus-Universität verbindet die zwei Geschichten der Kunsthochschule einerseits und der jüngeren der Technischen Hochschule des Bauens. Diese beiden Geschichten sind im Szenario der heutigen Universität eingefangen, erweitert um die reflexive Dimension der Kultur- und Geisteswissenschaften, vornehmlich als Medienwissenschaft.

Erinnern Sie sich an Ihre Zeit als Student in Weimar: Sie promovierten 1974 auf dem Gebiet der Architekturtheorie an der Hochschule für Architektur und Bauwesen. Beschreiben Sie Ihren Studienalltag.

Das war schön! Ich habe 1965 begonnen, Architektur zu studieren. Der Studienalltag war spannend und anspruchsvoll, er war komplett ausgefüllt. Die Vorlesungen, Übungen, vor allem die zeichnerischen Arbeiten, Freihandzeichnen und die Entwurfsarbeit fanden Tag und Nacht statt. Genau so wie heute, allerdings mit anderen Werkzeugen. Computer gab es noch nicht. Unsere Werkzeuge waren der Bleistift, der so genannte Lineator (eine Ziehfeder), Reißschiene und Winkel, aber auch Schreibmaschine und „Ormig“.

Wie haben Sie die Hochschulreform 1968 erlebt?

Als Student in einer lebendigen und zugleich sehr kritischen Atmosphäre. 1968 war auch in der DDR eine kontroverse Zeit. Durch das politische Tauwetter war für einen Moment relative Offenheit gewonnen worden. Stadtutopien z.B. die doch immer auch gesellschaftliche Visionen bergen, hatten Raum, auch wenn sie sehr schnell an der Wirklichkeit zerschellten. Ich habe die 60er als Zeit des Aufbruchs in Erinnerung, auch mit neuen technischen und wissenschaftlichen Ansätzen, trotz der latenten politischen Restriktionen.

Gehen wir nochmals 100 Jahre zurück: 1860 – Sie in Weimar. Bleiben oder gehen?

Eine interessante Vorstellung, vielleicht hätte ich gezeichnet, gemalt. Ich bin jedenfalls froh, dass heute an der Bauhaus-Universität das Bild eine prominente Rolle spielt, sei es der Film, oder eben auch die Malerei.

Mit der politischen Wende 1989/1990 setzte ein Prozess des Umbaus der Universität ein. Sie wurden zum Professor für Entwerfen und Architekturtheorie berufen und im gleichen Jahr zum Rektor gewählt. Ihre erste Amtshandlung?

Das war im November 1992… Ich übernahm die Amtskette und ich hielt eine Antrittsrede. Damals habe ich das Konzept einer Universität skizziert, die das Bauen und das Gestalten in sich eint, die sich konzeptuell, aber nicht als Imitation auf das Bauhaus bezieht und die den ökologischen Umbau der Gesellschaft betreibt.

Ihre Amtszeit als Rektor geht in das letzte Jahr, Sie haben fast 40 Jahre Universitätsgeschichte mitgeschrieben. Wie haben Sie zur Fortschreibung der Geschichte beigetragen?

Das müssen irgendwann Andere beurteilen. Wir leben ja in einer Welt tiefgreifender Umbrüche. Universitäten als Schlüsselinstitutionen der Wissenschaften und Künste müssen dies verstehen und gestalten. Mein Ziel war und ist, die Bauhaus-Universität derart aufzubauen, dass sie wie ein Seismograph der Moderne funktioniert, am Puls der Zeit gewissermaßen. Ihr Beitrag dann erwächst aus der einzigartigen Konstellation, der Oszillation zwischen Wissenschaft und Kunst. Und das muss natürlich jeden Tag neu gedacht werden.
Scientific Communities waren immer schon und sind heute erst recht weltumspannend. Gerade für die Bauhaus-Universität, die doch ein globales Label vertritt, ist diese Internationalität, von Europa nach Tokyo, Shanghai, San Diego und Chicago – und zurück – ein Lebensnerv. Mir ist dies jedenfalls wichtig. Und dann die Rückwirkung auf den Ort, auf Weimar und Umfeld, z.B. durch Einrichtungen wie das Transferzentrum Design, die Gründerinitiative Neudeli oder die Universitätsgalerie Marke.6 im Neuen Museum, nicht zu reden davon, dass die Bauhaus-Universität der größte Arbeitgeber der Stadt ist und Weimar vor allem durch seine Hochschulen nach dem Bevölkerungsdurchschnitt nach Jena die zweitjüngste Stadt Thüringens ist.

Was zählen Sie zu den größten Errungenschaften seit ihrem ersten Tag an der Universität?

Sagen wir, in fünfzehn Jahren als Rektor die Grundkonstruktion eines neuen Bauhauses, eines Bauhauses in der digitalen Kultur.

Welche „Entwürfe“ haben Sie noch in petto?

Ich nenne Ihnen mal ein paar Stichworte: „Professional School“ in der Universität, Gründerzentrum für Kreativwirtschaft in Weimar, „Science City“ in Weimar, Filmfestival Weimar, Internationale Bauausstellung (IBA) in Thüringen bis 2019.

2009 feierte die Universität die Gründung des Bauhauses in Weimar im Jahr 1919. 2010 wird die Geschichte zur Bauhaus Universität um 60 Jahre verlängert. Was wünschen Sie der Alma Mater?

Die zwei Daten markieren zwei Neuanfänge: Die Gründung der Kunstschule 1860 war ein Neuanfang, die Bauhaus-Gründung sowieso. Ich finde es wichtig, dass wir in der Lage sind immer wieder neu zu beginnen, was ja nicht bedeutet, die Geschichte zu verwerfen, wohl aber, sich nicht an sie zu klammern. Darauf kommt es an: Immer nach vorne denken, die zukünftigen Notwendigkeiten heute plastisch verstehbar machen und entsprechende Konzepte entwickeln. Wir sollten Avantgarde sein. Das wünsche ich der Bauhaus-Universität auch in Zukunft.

Wir wünschen viel Erfolg und alles Gute für die nächsten 150 Jahre!

Maxi Kretzschmar im Kulturjournal Mittelthüringen 05/2010: Wein und Kultur – in der Toskana des Ostens

Mehr Informationen unter www.uni-weimar.de

Am 24. September 2010 reisen 10 Weimarer Künstler, Studierende und Schüler nach Offenbach, um gemeinsam mit 10 Offenbachern, der Kaiserleibrücke ein neues Gewand zu geben.
Initiiert wurde das Projekt von dem Offenbacher Marcus Dörr, der in Weimar Maxi Kretzschmar und Lucian Patermann als Projektpartner gewinnen konnte.
Das Thema der künstlerischen Kollaboration: Die eigene Heimatstadt, ihr kulturelles Erbe, Ost-West, Kleinstadt-Großstadt, Ghetto meets Klassik, Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Dabei entstehen vorerst zwei komplett unterschiedliche Bilder, die zunehmend miteinander verschmelzen. Denn die Künstler lassen in die Interpretation
ihres Themas auch die Auslegung der anderen mit einfließen. Es entsteht ein Gesamtkunstwerk, das harmonisiert. Vergleichbar mit einer Symphonie: jeder spielt ein anderes Instrument und der Dirigent, in dem Fall das Thema, bringt sie zusammen und in Einklang. So werden alle Grenzen überschritten – sowohl bildsprachliche als auch zwischenmenschliche.

Mehr Informationen unter www.living-walls.org
Und in der Presse: www.fr-online.de

Ideen, an die Du glaubst

Die Musikszene Thüringens mausert sich. Nach Walter von der Vogelweide, Wolfram von Eschenbach, Franz Liszt und der Musikerfamilie Bach gestalten junge Musiker wie die Pentatones, Feindrehstar, Clueso und die STÜBAphilharmonie die Musiklandschaft in Thüringen.

Der musikalische Nährboden ist über Jahre gewachsen. Der Musiker Le Schnigg von der Weimarer Band Pentatones beschreibt die Situation: „Es sind einfach etliche gute Leute da geblieben oder nie mehr aus Thüringen weggekommen. Gleichzeitig sind die Wege so kurz, dass man gar nicht umhin kommt, diese guten Leute früher oder später zu treffen. Besonders in der elektronischen Musik, aber auch im Hip-Hop passieren auf diese angenehm ungezwungene Weise seit Jahren total spannende Sachen, die andernorts so nie stattgefunden hätten.“

Das SonneMondSterne-Festival – eines der größten Open-Air-Festivals elektronischer Musik in Deutschland – ist so eine Idee. 1997 mit ca. 1500 Besuchern erstmals über die Bühne gegangen, lockt das SonneMondSterne am zweiten Augustwochenende mehrere 10.000 Besucher nach Südostthüringen an die Bleilochtalsperre zum Feiern, Baden und Abschalten vom Alltag. Zwischen Wasser, Bergen und dem Thüringer Wald werden Zirkuszelte zu Dancefloors, Felder zu Zeltplätzen und Gästeschiffe zu Partybooten.
Als Schaufenster für die Szene zeigt die Agentur Seekers mit dem SonneMondSterne Jahr für Jahr mit Klassikern und Newcomern die Vielfalt elektronischer Musik. Das Lineup reicht 2010 vom britischen Elektronik-Duo Underworld bis zur deutschen Vorzeige-Band Die Fantastischen Vier, von dem deutschen Techno-Pionier Sven Väth bis zur Jenaer Krautclub-Band Feindrehstar.
Die Mitarbeiter der Jenaer Agentur um Rico Tietze hören privat elektronische Musik und wuchsen in einer Zeit auf, in der sie in Turnhallen, Kellern und ehemaligen Ställen im grünen Herzen Deutschlands tanzten. Ein Open Air musste her. Angefangen als eine Eintages-Veranstaltung entwickelte sich das SonneMondSterne zum wichtigsten Termin in der deutschen Elektro-Szene. Doch das familiäre Gefühl blieb: Für die Künstler ist das Festival mehr Ferienlager mit alten Freunden als Arbeit unter Kollegen. So wie die Künstler sind auch die Macher des SonneMondSterne mit Clubs, Platten-Labels und Agenturen vernetzt. Eine Sonderrolle in dieser Liste nehmen die Muna in Bad Klausterlausnitz, das Kassablanca in Jena und das Plattenlabel Freude am Tanzen ein.

Als Zentrum für Jugend- und Soziokultur 1990 gegründet, entwickelt sich das Kassablanca schnell als Geheimtipp in der Szene und unter Jenaer Jugendlichen. Eine Odyssee durch das Jenaer Zentrum brachte das Team schlussendlich in das heutige Domizil direkt am Bahnhof Jena West. Mit Mitteln des Thüringer Kultusministeriums und der Stadt Jena konnte das Areal nutzbar und durch den Ausbau des Eisenbahnturms, einem ehemaligen Lokschuppen und zahlreichen jetzt bunt bemalten Züge erweitert werden. Das Vereinsmitglied Thomas Sperling beschreibt den Klub-Aufbau als „hart, aber machbar“, spätestens wenn der Klub läuft, sei eine klare Aufgabenteilung notwendig. Viele anfangs passiv Konsumierende wechseln in die aktive Rolle. Thomas Sperling vergleicht den Prozess mit einem Samen, der in die Erde gegeben und gegossen wird. „Manche wachsen, manche nicht und manche wachsen über uns hinaus. Wir bieten Chancen, sich auszuprobieren.“
Die heutigen Labelbetreiber von Freude am Tanzen haben 1997 mit selbst organisierten Veranstaltungen im Kassablanca begonnen, bevor sie 1998 ihr Label gründeten und 2001 ihren Plattenladen in Jena eröffneten. Der Rest ist eine Erfolgsgeschichte: 2003 der erste Überraschungserfolg MK 006 von Robag Wrumme. Thomas Sperling: „Labelmacher sind Bauchmenschen. Am Ende entscheidet die Musik.“ Mit dem ersten Album der Band Feindrehstar im Sommer bei dem Schwesterlabel Musik Krause und im Oktober 2010 mit seiner 50. Veröffentlichung feiert das Label 2010 sein zwölfjähriges Jubiläum. Mit Feindrehstar schließt sich der Kreis der Thüringer Elektro-Szene: Erste Auftritte im Kassablanca, SonneMondSterne-Auftritt im Augst 2010 und das Album-Release bei Musik Krause – auch eine Idee, an die Feindrehstar glauben.

In Erfurt trägt die Ideenschmiede für junge Musik einen Namen: Zughafen. Der Zughafen ist ein freies Netzwerk von Künstlern, Organisatoren, Firmen und Projekten mit Sitz im alten Erfurter Güterbahnhof. Ausgehend von mehreren Musikstudios und einem Team um den Künstler Clueso hat sich der Zughafen zu einem Anziehungspunkt kreativer Köpfe entwickelt – unter ihnen: Marbert Rocel, Makabu, und die STÜBAphilharmonie. Die STÜBAphilharmonie ist ein Verein zur Förderung der Musik in Thüringen. Unter der musikalischen Leitung von Martin Lentz aus Weimar begleitet das Sinfonieorchester musikalisch Puppenspielaufführungen oder auch Clueso bei Live-Konzerten. Im Unterschied zu anderen Künstlern, die ihre Songs mit Sinfoniearchestern interpretieren, werden die Songs bei Clueso und STÜBA gemeinsam arrangiert und geprobt. Die Weimarer Musikstudentin Lorina Mattern beschreibt die Zusammenarbeit: „Wir sind kein Beiwerk oder Show, sondern musizieren gemeinsam.“ Ob als Weckdienstbeauftragter oder Dirigent, Auktionsleiter, Busfahrer oder DJ – bei STÜBA sitzen nicht nur alle in einem Boot, sondern jede/r rudert mit.

In Weimar befindet sich der musikalische Hafen im Gaswerk. Das Gaswerk, die Design- und Projektwerkstatt in der Schwanseestraße, ist ein Paradebeispiel eines soziokulturellen Zentrums in Thüringen. Seit seiner Gründung 1998 vereint es soziale und kulturelle Aspekte auf vielfältigste Art und Weise. Das Jahresprojekt Salon Pink beispielsweise knüpft an die Salonkultur des 18. und 19. Jahrhunderts um den Jenaer Salon an und bietet jungen Talenten eine Bühne, auf der sie lesen, musizieren und performen können. Die Projektleiterin Canan Yilmaz will „bestehende Dinge aufgreifen und in seiner Zeit weiter bearbeiten“. Ihr geht es um den Mix aus festen und spontanen Programmpunkten. Sie will „offen bleiben für Spontanes“ – das zeigt sich auch bei den monatlichen Terminen des Salons. Unter dem Titel „Zuhören, Wundern, Selbst Erzählen“ lädt der Salon Pink zum ”Bühnenbild ohne Stück” ein. Da treffen beispielsweise Texte des Berliner Design-Kollektivs Schroeter und Berger auf musikalische Spuren von Le Schnigg von den Pentatones. Beide laden das Publikum zu eigener künstlerischer Tätigkeit auf den offenen Bühnen ein. So werden die Grenzen zwischen Produzent und Konsument und die zwischen den Künsten durchlässig. Eingebettet in eine Ausstellung aus Malerei, Grafik, Fotografie und Medienkunst spürt man den Atem der Caroline Schelling, Salonière des frühromantischen Jenaer Salons.

So gesehen ist ganz Thüringen ein Salon, wo mehr Freunde als Kollegen miteinander arbeiten, Klubs und Labels betreiben, Festivals und Konzerte organisieren, selbst Musik machen oder dem musikalischen Nachwuchs eine Bühne bieten. Salon Thüringen – Die Musikfabrik!

Maxi Kretzschmar im Kulturjournal Mittelthüringen 04/2010: Mit Pauken und Trompeten – Musik in Mittelthüringen

Mehr Informationen unter
www.sonnemondsterne.de
http://kassablanca.de
www.freude-am-tanzen.com
www.feindrehstar.de
www.zughafen.de
www.clueso.de
www.stueba.de
www.schwansee92.de

„Als Gewerk bezeichnet man handwerkliche und bautechnische Arbeiten im Bauwesen sowie historisch im Bergbau und dessen Umfeld.“ Danke, Wikipedia! Das passt nicht ganz auf das geWERK in Erfurt!
In der Landeshauptstadt ist das geWERK ein Verein zur Förderung eines zeitgenössischen Kunst. Da – wie wir wissen – Kunst von Können kommt, kann auch Kunst ein Handwerk sein: Künstler bauen Ideen, manchmal auch Häuser, um ihren Ideen ein Bild und vor allem Raum zu geben.
In der Rudolfstraße hinter dem Petersberg entsteht just in diesem Momente solch ein Künstlerhaus. Das heißt, das Haus ist da, die Idee dahinter entwickelt sich work in progress. In den 11 Ateliers wird gemalt und geschraubt, in der Druckwerkstatt entstehen Hoch- und Tiefdrucke, die in der hauseigenen Galerie der Öffentlichkeit präsentiert werden. Die Galerie ist Treffpunkt der Künstler und Ort des Austauschs. Neben den geWERK-Künstlern werden auch Künstler aus ganz Thüringen ausgestellt.
Zu Lesungen und Konzerten gibt es zarte Töne und zuweilen harte Worte auf die Ohren. Verschiedenheit hat hier ihren Platz und befruchtet sich wechselseitig: Handwerk und Kunst gehen nach bester Bauhausmanier (Weimar) bzw. Mittelaltermanier (Erfurt) Hand in Hand! Wilhelm Dietel, Theatermaler mit grafischen Schwerpunkt beschreibt den geWERK-Gedanken so: „Alles steht auf Anfang und das immer wieder.“
Dass die Künstler und Lebenskünstler unterschiedlichen Alters und Genres voneinander lernen, gemeinsame Sache machen und sich als Gemeinschaft verstehen, ist Anliegen von Gründungsmitglied Thomas Thyes. Er glaubt, dass die Generationen voneinander profitieren: die Jungen von der handwerklichen Perfektion und der Lebenserfahrung der Alten und die Alten von der Energie und Tatendrang der Jungen. Gemeinsam bleiben sie fit und arbeiten interdisziplinär mit Mitteln der Kunst, Musik, Literatur und Theater an ihren Projekten. Das erfordert eine hohe Toleranz von allen geWERKlern, ist es doch für viele ungewöhnlich eine Weihnachtsgala mit Kunstauktion zu erleben. Und wenn dazu eine Heavy-Matel-Band spielt, bedarf es Offenheit sowohl beim Publikum als auch bei den Künstlern. Die permanente Diskussion des Gezeigten unterstützt den gemeinsamen Entwicklungsprozess. Die kurzen Wege im Haus und im Netzwerk lassen diesen hohen Grad an Spontaneität zu und so können Veranstaltungen und Ausstellungen mit einem Zeitfenster von vier Wochen im Voroaus geplant werden. Dass dabei Qualität gewahrt bleibt, ist Christoph Schaffarzyk zu verdanken. Er ist jüngstes Vorstandsmitglied und zeichnet sich für das Ausstellungs- und Veranstaltungskonzept verantwortlich. Er ist es, der dem geWERK eine Verjüngungskur verpasst hat und seit ca. einem Jahr kontinuierlich das Profil erweitert und anreichert – gemeinsam wachsen, weiter geht´s!

Mehr Informationen unter www.gewerk-erfurt.de
Maxi Kretzschmar in hEFt – für literatur, stadt und alltag, Juli 2010

Gisela Höhne ist eine kleine Frau. Sie grüßt mit festem Händedruck und strahlt mit ihrem Perlmutohrring um die Wette. Wir treffen uns im Café des Theaters RambaZamba. Malereien, Grafiken und Keramiken, die in den Werkstätten des Trägervereins Sonnenuhr e. V. entstanden sind, schmücken die Wände. Das Ensemble trudelt ein. Es wird gegessen und das Neueste ausgetauscht, bevor das tägliche Training und die Proben für die Abendaufführung beginnen.
Hier arbeitet Gisela Höhne. Gemeinsam mit ihrem Ensemble und ihrem Lebensgefährten, Klaus Erforth, hat sie in den letzten 20 Jahren „Deutschlands wichtigstes integratives Theater“ aufgebaut – das Besondere: Geistig Behinderte machen das Gros der Gruppe aus und sind dabei auf der Bühne so authentisch, dass sie Schauspieler ohne Handicap an die Wand spielen. Das fasziniert Gisela Höhne auch heute und sie weiß, dass diese schauspielerischen Fähigkeiten einzigartig sind. Wenn sie mit ihrem Ensemble probt, dann setzt sie auf die emotionale Intelligenz ihrer Bühnenkünstler, denn bei der Arbeit mit Behinderten werden Unklarheiten im Stück und den Regieanweisungen sofort entlarvt. Um sich einem Stoff zu nähern, lässt die Regisseurin zu Beginn freie Assoziationen – „Wildwuchs“ wie sie sagt – zu, um sich einen Überblick zu verschaffen und das Stück „aus den Schauspielern heraus“ zu entwickeln. Dann holt sie gärtnergleich das Beste aus den Spielern und die Inszenierung wächst. Ihre Erfahrungen als Schauspielerin helfen ihr dabei sehr: „Man kriecht besser rein.“ – sowohl in die Rollen als auch die Darsteller. Überhaupt ist Höhne eine absolute Praktikerin: Neben dem Leben auf der Bühne, hat sie die Arbeit hinter der Kamera und als Regisseurin beim Film kennen gelernt. Daneben hat sie studiert: Nach Verweigerung ihres Wunschstudienplatzes Psychologie wegen ideologischer Differenzen zur „Psychologie des Arbeiter- und Bauernstaates“ studierte sie Filmregie in Babelsberg, Schauspiel an der heutigen Ernst-Busch-Schauspielschule und Theaterwissenschaften an der Humboldt-Universität Berlin. Der praktischen Arbeit lässt sie dennoch den Vortritt. Und das ist gut so! Denn die Theaterarbeit fasst einerseits Höhnes Erfahrungen zusammen und ist so Ausdruck einer unerwarteten Kontinuität ihres Lebens, andererseits auch Arbeit, Broterwerb. Nach der Geburt ihrer beiden Kinder, Moritz hat das Down-Syndrom, kehrte sie dem Theater vorerst den Rücken zu. Nach kurzer Zeit verhandelte sie ihre Erwartungen an Leben und Bühne neu und befand, dass sie die extreme Herausforderung annehmen und Menschen mit Behinderung ermöglichen will, mit ihrer Kunst gesehen zu werden. Dem inneren Kampf mit der Erfüllbarkeit der eigenen und fremden Erwartungen und Wertmaßstäben bot die Reaktion von Ensemble und Publikum schnell Einhalt – die Schauspieler berühren darüber, wie sie Geschichten erzählen. Heute kann das Theater auf 21 Produktionen, die in Berlin und über 100 Gastspielen in ganz Europa zu sehen sind, zahlreichen Workshops, Zirkusshows, Kunst- und Theaterfestivals zurück blicken.
Für die Schauspieler stellt das Spiel auf der Bühne laut Höhne einen Durchbruch dar – sowohl gesellschaftlich als auch für die Akteuere selbst. Von als defizitär wahrgenommenen Wesen entwickeln sie sich mit Betreten des Bühnenraums zu Personen des öffentlichen Lebens. Dabei ist Anschauen ausdrücklich erwünscht, denn die Schauspieler treten nicht umsonst vom Dunkel ins Licht. „Im Theater siehst du den Menschen, einen Besonderen, Gezeichneten.“ 2007 richtete der Verein geschützte Arbeitsplätze für die besonderen Theater- und Kulturschaffenden ein, seither ist die Zahl auf 30 angestiegen.
Die Schauspieler sind stolz, einen priviligierten Job zu haben, dabei wollen sie einfach nur Schauspieler sein, keine Stars. Gisela Höhne und ihre Ensemble sind sich einig: „Alle Rollen sind wichtig.“ – sowohl auf der Bühne des Theater als auch im Alltag. Das Publikum wiederum erlebt die Inszenierungen als Kunst statt Therapie. Die eigenen Vorurteile kollidieren mit dem Wahrgenommenen. Das Weltbild wird erschüttert und eine klassische Katharsis setzt beim Publikum ein. Höhne glaubt: „Wenn die Leute, besonders Kinder und Jugendliche unsere Stücke sehen, gehen sie später anders mit der eigenen Zukunft und ihren Kindern um.“ Damit begibt sie sich in die Tradition von Bertolt Brecht und setzt ganz auf die gesellschaftsbildende Kraft von Theater.
Wenn Höhne fragt „Was bedeutet Theater?“ dann meint sie „Was bedeutet Leben?“

Porträtiert wurde: Gisela Höhne, geb. 1949 in Thüringen
Schauspielerin und Mitbegründerin des Vereins Sonnenuhr e. V., für den sie seit 1991 als Regisseurin und künstlerische Leiterin tätig ist.
2009 erhielt sie das Bundesverdienstkreuz und zahlreiche weitere Auszeichnungen für ihre integrative Theaterarbeit.
Das Theater RambaZamba feiert am 1. September 2010 mit dem Friedens-Fest 20jähriges Jubläum. Wir gratulieren!

Maxi Kretzschmar in soziokultur 2/2010

Das geradezu simple Konzept geht auf: Günstige Mieten, wenig Bürokratie, ein hohes Maß an Eigenleistung und die Lage am Goetheplatz ziehen kreative Unternehmen in Weimars Zentrum. Seit Oktober 2009 wächst das kreative Ballungszentrum Kreativetage – ein Projekt des e-werk weimar e. V. – und bietet Jungunternehmen kostengünstige Bürostandorte.
Eines von ihnen ist das Designbüro Rugwind. Henriette Gruber, Karsten Guth und Nils Volkmann entwickeln nachhaltiges und soziales Design. Die Palette reicht von Ausstellungskonzepten, die über den Klimawandel aufklären, über die Gestaltung von Stadtmöbeln bis hin zu einem Softwarekonzept zur Bestimmung von Pflanzen auf dem Handy für Naturliebhaber und Stadtnomaden.
Gleich daneben hat der Illustrationsautomat ILLUMAT seine Heimstatt gefunden – wenn er nicht gerade auf Comic- und Skizzenfestivals, Stadtteilfesten und Buchmessen im Einsatz ist. Durch Einwerfen eines Coupons können sich Passanten etwas wünschen, das vom ILLUMAT in Minutenschnelle zeichnerisch umgesetzt wird. Die fertige Illustration wird vom Automaten ausgeworfen und kann nach Hause mitgenommen werden. Die Zeichenmaschine wurde 2007 von Illustrationsstudenten und -absolventen der Bauhaus-Universität gegründet.
Eine der Konstrukteure ist Rosa Linke. Sie hat Visuelle Kommunikation in Weimar und Belgien studiert. Seit 2008 ist sie Diplomdesignerin und illustriert für Magazine, gestaltet Bücher und ist als Freie Grafikerin auf der Kreativetage ansässig.
Der Thüringer Augenzeuge Johannes Romeyke arbeitet als Videojournalist. Er entwickelte vor drei Jahren das Videoportal der Thüringer Allgemeine Zeitung. Darüber hinaus plant und realisiert er mediale Installationen für Ausstellungen und Museen.
Eine Tür weiter ist das Grafiker-Team Olivia Vieweg und Michael Möller aktiv. Die Illustratorin Vieweg wurde vor allem mit ihren Katzenbüchern bekannt, Möller arbeitet für große deutsche Comicverlage und verlegt außerdem seit etwa zehn Jahren Independent-Comics in dem Kleinverlag Schwarzer Turm.
Am 16. April 2010, 13.00 Uhr öffnen alle 24 Nutzer der Kreativetage ihre Büros und Katja Schäfer und Christoph Schaffarzyk vom e-werk e. V. stellen das Konzept vor.

Kreativetage, Goetheplatz 9b, 99423 Weimar
Mehr Informationen unter kreativetage.blogspot.com

Maxi Kretzschmar im Rathauskurier Weimar 07 2010

Nach dem ersten Thüringer und bundesweit letztem Kulturwirtschaftsbericht, Wahlversprechen und zahlreichen Diskussionsrunden zwischen Politikern und Kreativen ist es Zeit, Licht und Lupe auf ein aktuelles Projekt zur Unterstützung von Kunst- und Kulturschaffenden in der Region zu richten – die Kreativetage am Weimarer Goetheplatz.

Die Produktdesigner von Rugwind sind die Neuen und beziehen den größten Arbeitsraum mit 30 qm. Sie wollen „im Netzwerk bleiben“, so Diplomdesignerin Henriette Gruber beim Malern. Gemeinsam mit ihren beiden Partnern entwickelt sie nachhaltiges Design. Dabei reicht die Palette von der Gestaltung von Stadtmöbeln über Ausstellungskonzepte, die über den Klimawandel aufklären, bis hin zu einem Softwarekonzept zur Bestimmung von Pflanzen auf dem Handy für Naturliebhaber und Stadtnomaden. Ihre Losung „Mitmenschlich, nachhaltig und erfinderisch!“ passt ebenso gut zu ihrem neuen Firmensitz.
Der kreative Ballungsraum bietet Unternehmen, Künstlern, Architekten, Filmschaffenden, Illustratoren, Verlagen, Grafik- und Produktdesignern kostengünstige Bürostandorte mitten im Zentrum Weimars. Und hierfür herrscht in Weimar dringender Bedarf!
In der Kreativetage wird der Netzwerkgedanke groß geschrieben. Die meisten Mieter kennen sich ohnehin über drei Ecken und haben nicht selten bereits gemeinsame Projekte realisiert. Dass nun die Existenzgründer für ihr Unternehmen die passenden Arbeitsräume und die kreative Klasse Weimars einen Ort gefunden hat, geht auf die Initiative des e-werk weimar e. V. zurück. Vereinsmitglied und Kulturarbeiterin Katja Schäfer wollte im vergangenem Bauhausjahr an Ort und Stelle ein Künstlerwohn- und Atelierprojekt starten, das einerseits Gäste während ihres Aufenthalts in der Kulturhauptstadt beherbergt und andererseits den Weimarer Kreativen Arbeitsraum bietet. Allerdings gab die Bauordnungsbehörde das Gebäude nur zu Arbeits- und nicht zu Wohnzwecken frei. Katja Schäfer entwickelte daraufhin das Konzept der Kreativetage. Diese Pläne stießen bei Till Hafner, Referent des Weimarer OB Stefan Wolf, auf offene Ohren. Schließlich gehört das Gebäude der Stadt und Hafner ist für Wirtschaftsförderung zuständig. Er sieht in dem Projekt Möglichkeiten, Unternehmerinnen und Unternehmern, die häufig direkt aus der Bauhaus-Universität in den Beruf starten, optimale Wachstumsbedingungen für ihre Vorhaben zu schaffen und das kreative Netzwerk zu stärken.
Das war im Herbst 2008. Es folgte die betriebswirtschaftliche Prüfung seitens der Verwaltung, Überzeugungsarbeit im Stadtrat und die Netzwerkarbeit seitens des Vereins. Im Oktober schließlich 2009 zogen die ersten Mieter ein und seit März 2010 ist auch der dritte Wachstumsschritt der Kreativetage vollzogen und alle freien Räume im Gebäude sind vergeben. Der Diplomkünstler Christoph Schaffarzyk, selbst Nutzer der „Zwischennutzungsagentur“, ist ständig als Ansprechpartner vor Ort, um zwischen Kommunalverwaltung und Nutzern zu vermitteln. Dass es ein Kulturschaffender ist, der sich um die Belange der Mieter kümmert, ist Hafner dabei besonders wichtig. Denn Niemand kennt die Belange der Mieter besser als Jemand, dessen Atelier in kreativer Nachbarschaft zu Rugwind und den anderen 23 Unternehmen, Klein- und Kleinstunternehmen liegt.

Das Wichtigste zum Schluss:
Miete 5,60 €/qm inkl. Nebenkosten und Internet
16 Räume mit 10 bis 30 qm und eine Teeküche
Kündigungsfrist: 2 Wochen
Tag der Offenen Tür am 16. April 2010, ab 13.00 Uhr

Mehr Informationen unter kreativetage.blogspot.com

Maxi Kretzschmar in hEFt für literatur, stadt und alltag, April 2010, Zeit für Übergangsjacken

So die Hoffnung des Wächterhaus e. V. um Stadtratsmitglied Urs Warweg (SPD), der sich um unkonventionelle Nutzungsideen für gefährdete Gebäude bemüht

Die Infrastruktur um die Eckbebauung Talstraße 15/16 ist sehr gut ausgebaut und die Außenwirksamkeit gegeben. Spuren von Vandalismus sind in den 60 bis 70 qm großen Wohnungen nicht zu sehen. Die Fassade und die Fenster sind in Ordnung, der Keller trocken. Das Gebäude ist ohne Müll, das Dach dicht. So klingt die Beschreibung von offizieller Seite des wahrscheinlich ersten Wächterhauses in Erfurt. Es befindet sich genau an der Stelle, wo sich Berg in Tal wandelt, oder besser die Talstraße zur Bergstraße wird. Zeit, Bergfest zu feiern!
Das Wächterhauskonzept ist ein Projekt des Leipziger Vereins Haushalten e. V. und gibt gefährdeten Gebäuden durch unkonventionelle Nutzungsideen neue Perspektiven. Seit 2008 ist das Konzept Bundesmodellprojekt und wird in acht deutschen Städten umgesetzt. Unter anderem in Erfurt, wo sich seit seiner Gründung im April des letzten Jahres der Wächterhaus e. V. um eine geeignete Immobilie bemühte und sie nun endlich gefunden hat.
Haushalten e. V. aus Leipzig und Wächterhaus e. V. aus Erfurt sehen ihre Aufgabe darin, ratlose Eigentümer leerstehender Gebäude und potentielle Nutzer zusammenzubringen. Die Wächter übernehmen für die Zeitspanne von fünf Jahren die Verantwortung für das Haus.
Seit 2004 ermöglichen Wächterhausvereine die Instandhaltung brachliegender Jugendstil- und Gründerzeithäuser, die auf Grund der Kreuzungslage schwer zu vermitteln sind. Die ehemaligen Wohnungen werden durch soziokulturelle Initiativen und kreativwirtschaftliche Kleinunternehmen umgenutzt. So entstehen Tanzstudios, künstlerische Werkstätten oder Architekturbüros. Die Wächter übernehmen für die Zeitspanne von fünf Jahren die Verantwortung für das Haus. Die vielfältige Nutzung bewahrt die Häuser vor dem Verfall. Die Ladenflächen im Erdgeschoss werden als Klubs, Kneipen oder Kulturzentren umgenutzt und beheimaten zumeist gemeinnützige Vereine oder Initiativen. Die Häuser entwickeln sich so zu alternativen Kreativzentren und ermöglichen durch die Nähe der unterschiedlichen Nutzer neue Synergien und Formen der Zusammenarbeit.
Daneben entwickeln sich in den Seitenstraßen erste Wohnprojekte nach dem Wächtermodell. Die kulturelle Nutzung spielt aber weiterhin eine große Rolle und die Bewohner veranstalten für sich und die Nachbarschaft Kinoabende, Tischtennisturniere und Hausfeste. Die Wächter tragen so wichtige Arbeit zur Stadteilkultur bei. Nicht selten werden aus Hausfesten Straßenfeste…
Vorerst ist genau dieses Szenario für Erfurt (noch) Zukunftsmusik, aber Tor und Tür sind aufgestoßen, die Schwelle übertreten. Gebäude wie in der Talstraße müssen in Nutzung kommen, so das Verwaltungsdeutsch der Vereinsmitglieder. Immerhin gibt die Stadt jährlich 155.000,00 Euro für leerstehende Häuser aus und das bei einem Wertverlust von 25.000,00 Euro pro Jahr. Das ist auch dem Stadtrat dank zahlreicher Anfragen des Vereins bewusst. Warum also nicht aus der Not eine Tugend machen und bei relativ geringem Investitionsvolumen Initiativen und Vereinen ein Dach bieten und so eventuellen Schäden im selbigen vorbeugen?! Interessierte gibt es sicher, nun müssen die rechtlichen Aspekte wie Versicherung, Nutzungsordnung und Vertragliches geklärt werden. Hierbei soll von Anfang an eng mit der Stadtverwaltung zusammengearbeitet werden, indem die Stadt dem Wächerhausverein das Haus für die Nutzung zur Verfügung stellt. Der Verein wäre dann für die Verwaltung des Gebäudes und die eventuelle Überführung in ein Selbstnutzerkonzept nach Ende des Fünfjahresvertrags verantwortlich. Neben der Talstraße kommen für den Verein die Stadtteile Erfurt Nord und Ilversgehofen um das AJZ, die Villa des Klanggerüst e. V. und das Malzwerk für weitere Nutzungsideen in Frage.
Mehr Informationen im nächsten hEFt. Ganz Eiligen sei die Wächterhaustagung in Leipzig am 24. und 25. September 2009 empfohlen. Ziel der Tagung ist es, gemeinsam mit Vertretern aus Verwaltung, Politik und Wissenschaft sowie lokalen Akteuren und Initiativen Erfahrungen zum Thema „Zwischennutzungen von Gebäuden als Handlungsinstrument der Stadtentwicklung“ auszutauschen. Mehr Informationen unter haushalten.org

Maxi Kretzschmar in hEFt für literatur, stadt und alltag, Oktober 2009, Du und ich in der Hängematte