You are currently browsing the category archive for the ‘Bildungsarbeit’ category.

Es gibt Kunst im öffentlichen Raum, Kunst am Bau und Freie Kunst.
Vorreiter heutiger Kulturpolitiker haben im Zuge der Modernisierung seit der Aufklärung diese Unterscheidung eingeführt. Die Freie Kunst entwickelt sich seither prächtig in Museen, Galerien und Kunsträumen in Stadt und Land. Eine Avantgarde löst die andere ab, der Pluralismus in den Kunstströmungen entsteht. Inhaltliche und institutionelle Verzweigungen und Vernetzungen werden in Deutschland wie in keinem anderen europäischen Land gefördert, schließlich hat sich Deutschland seit Goethe und Schiller zu einer Nation entwickelt, die sich über ihre Kunst- und Kulturgüter definiert. Kunst hat gesellschaftlichen Wert, vor allem Kunst im öffentlichen Raum. Bauherren öffentlicher Gebäude müssen einen bestimmten Prozentsatz der Baukosten in Kunst am Bau investieren, Kunst im öffentlichen Raum hingegen wird durch kommunale Ausschreibungen befördert. Die künstlerische Freiheit allerdings ist weit entfernt. Künstlerische Eigeninitiative ist nicht vorgesehen und Privatbesitzer investieren Unsummen in die Befreiung ihres Besitzes von Graffitischmierereien. So weit der Ist-Zustand. (Was ist, wenn es keine Grenzen gäbe zwischen den Kunstorten, wie es bis zur Aufklärung der Fall war?)
Urbane Kunst blendet diese Grenzen aus. Die Künstler tragen die Freie Kunst in den Öffentlichen Raum, sie malen und ritzen Figuren, wie es die Ureinwohner Europas in Höhlen taten. Sie kleben Plakate wie die alten Römer, befreiten Schablonen von ihrem dekorativen, später politischen Inhalten und installieren Objekte wie der Kleingärtner Gartenzwerge. Sie ergänzen aktiv die Arbeit von Stadtplanern und Architekten, Kommunalpolitikern und Quartiersmanagern, Sozialarbeitern und Kulturbeauftragten, indem sie die Stadt zur Galerie erklären.

Urban Art gibt Stadtteilen ein Gesicht, das freundlich lächelnd zum Gespräch einlädt. Im Gegensatz zu Graffiti, das als popkulturelles Phänomen seit den 1980er Jahren die westliche Welt mit großen und kleinen Schriftzügen (Styles und Tags) und Figuren (Characters) überzieht, deren Bedeutung sich nur Eingeschworenen erschließt und als Sachbeschädigung bewertet gesellschaftlich geächtet wird, spricht urbane Kunst (Urban Art) mit ihrer einfachen Bildsprache den lokalen Kommunikationscode und greift soziale und architektonische Strukturen der lokalen Wirklichkeit auf. Sie bedient sich der Mittel Werbeindustrie, bevor sie auf dem Weg einer offiziellen Kunst-Ausschreibung an Kraft verliert. Urban Art ist Freie Kunst.

Ma´Claim

Man mag kaum glauben, dass eine der bekanntesten Urban Art-Künstlergruppen aus Deutschland, Ma´Claim, 2001 ihre Gründungsstunde in der Klassikerstadt Weimar, an einer Skatehalle hatte. Die Crew-Mitglieder Rusk (Weimar), Akut und Case (Schmalkalden) stammen aus Thüringen, Namensgeber Tasso aus Meerane im angrenzenden Sachsen.

Unsere Art, unser Gebiet, unser Claim

Gemeinsam machten sie sich 2001 auf, die Graffiti-Welt mit ihren photorealistischen Wandmalereien zu bereichern. Auf ihren zahlreichen Reisen realisierten sie Bildkonzepte, die vorher am Rechner entwickelt und Graffoto getauft wurden – eine Revolution für die auf Spontaneität angelegte Graffitiszene. Nach nur einem Jahr widmete das Szene-Magazin Backspin der Thüringer Crew eine Sonderausgabe und seitdem reisen Ma´Claim mit ihren Bildideen um die Welt, waren auf zahlreichen Festivals zu Gast und perfektionierten ihren Photorealismus, bis die ersten Galerien anfragten. Rusk: „Ich bin in Weimar aufgewachsen. Weimar ist eine Kleinstadt, welche eine sehr aktive Szene aufweist. Ich habe auf all meinen Reisen nicht noch einmal eine vergleichbar kleine Stadt mit so einer aktiven Graffitiszene gesehen. Um deutschlandweit bekannt zu werden, war Weimar natürlich nicht die perfekte Stadt, denn nur wenige auswärtige Maler fanden den Weg dorthin. Sollte mich aber nicht stören! Kamen sie nicht zu mir, musste ich also meine Styles zu ihnen bringen. Dafür waren unendlich viele Reisen und Magazine das ideale Mittel.“ Heute reisen vor allem ihre Bilder in dem Buch „Ma´Claim – Finest photorealistic Graffiti“ um die ganze Welt, für das Goetheinstitut sind sie Botschafter für Deutschland und werden nach Los Angeles, Athen und Alexandria eingeladen, um dort zu malen, Ausstellungen auszurichten und Workshops zu geben.

Typism und Blouzaat

Ma´Claim-Mitglied Akut ist gemeinsam mit Typism aus Erfurt der deutsche Teil von Blouzaat – ein deutsch-jordanisches interkulturelles Cross-Media-Projekt zur praktischen Erforschung der urbanen Kunst. Mit ihren Partnern Ahmad Sabbagh und Mohammed Assaf haben sie sich zum Ziel gesetzt durch die Erschließung von Kulturen und Jugendkulturen, Musik und allgemeine kulturelle Praxis eine kreative Gemeinschaft über Kulturgrenzen hinweg aufzubauen. Blouzaat ist das Ergebnis von geteilten Erfahrungen, innovativen Ideen und Identitäten. Es möchte Partizipation und Selbstverwirklichung anregen.
Typism hat in Weimar Visuelle Kommunikation studiert und arbeitet als Grafik-Designer und freier Künstler. In der 1. Klasse drohte ihm die Lehrerschaft mit einem Psychiater, da seine Bilder sehr grafisch und auf Schwarz und Weiß reduziert waren und heute noch sind. Urbane Kunst versteht er als eine Ausdrucksform, um Inhalte und Meinungen zu transportieren. Dabei hilft die Erfahrung aus der Werbewelt, auf die wie er viele Urban Art-Künstler zurückgreifen kann, denn Werbung ist im Unterschied zu Streetart funktionalisierte und in hohem Maße legalisierte und legitimierte Gestaltung von Lebensräumen. Viele Künstler gestalten diese Räume daher zum Einen frei aber auch im Auftrag.

Farbgefühl

Farbgefühl aus Jena beispielsweise ist eine Firma für Auftragsgraffiti und jugendkulturelle Bildung. Sie haben das Foyer des deutschen Patent- und Markenamtes in Jena, das Parkhaus des Asklepios Fachklinikums in Stadtroda gemeinsam mit psychisch kranken Menschen und das ehemalige Polizeirevier gestaltet. Heute leben in dem einstigen Revier Studierende aus aller Welt. Damit sie wissen, an welchen Ort sie leben, haben Michael Pook und Michael Drosdek die Geschichte des Ortes fotorealistisch Ton in Ton mit der Klinkerfassade bildnerisch bewahrt. Neben Auftragsarbeiten ist den beiden Kreativunternehmern die Kulturelle Bildung wichtig. Seit Firmengründen haben sie neben unzähligen Aufträgen auch zahlreiche Workshops für Kinder und Jugendliche gestaltetgeben. Dafür arbeiten sie eng mit städtischen Einrichtungen und freien Kulturzentren wie dem Kassablanca am Westbahnhof, der Jungen Gemeinde und dem Jugendclub Hugo in Winzerla zusammen. Gemeinsam mit dem Streetworker Kaktus vom Hugo bemühen sie sich um die Bereitstellung legaler Flächen, die aus ihrer Erfahrung sehr gut angenommen werden. Egal ob Workshop oder Auftrag, der Zuspruch der Passanten ist groß und die Künstler und Laien nutzen rege die legal bereit gestellten Wände am Kassablanca, die eigentlich Züge sind, im Sommerweg und am Jenaer Kaufland. Die beiden (Farb-) Gefühlmenschen stellen allerdings immer und immer wieder fest, dass viele Ihrer Workshopteilnehmer zu Beginn meinen, sie könnten nicht malen. Zum Ende der Workshops wendet sich meist das Blatt und es werden stolz Bilder der eigenen künstlerischen Arbeit fotografiert.
Michael Pook: „Wir machen etwas, das Andere gern machen würden: Selbstverwirklichung.“ – sowohl persönlich als auch bei der Gestaltung des Lebensraums.

Web:
www.maclaim.de
www.typism.de
www.blouzaat.com
www.farbgefuehl.net

Literaturtipps:
Kristin Klitzke/Christian Schmidt: Street Art – Legenden zur Straße. Berlin, 2009.
Falk Lehmann/Stefan Petermann: Ma´Claim – Finest Photorealistic Graffiti. Mainaschaff, 2006.

Maxi Kretzschmar im Kulturjournal Mittelthüringen 04/2011

Kritische Auseinandersetzung mit dem Forschungs- und Bildungskonzept der Klassik-Stiftung Weimar hinsichtlich der Bildungsarbeit

Die Sattelzeit der Moderne
Die Modernisierung der europäischen Gesellschaft hat die Aufklärung, Sturm und Drang, Klassik und Romantik (Sattelzeit) ausgehend vom französischen und deutschen Kulturraum als Bezugsparadigmen: Die Aufklärung ebnet den Weg zur Säkularisierung, indem sie Argumentationsstrukturen verweltlicht, Glaube durch Erfahrung ersetzt und damit die Grundlage für weltliche Philosophie liefert. Ausgehend von den Philosophen, die auffällig oft Söhne protestantischer Pfarrer sind, ebnet sich die funktionale Differenzierung der Gesellschaft ihren Weg über die absolutistischen Herrscher hin zum Einzelnen, lost das geburtsständische Prinzip ab und verändert damit grundlegend das Menschenbild und damit die sozialen Interaktionsgepflogenheiten und -Möglichkeiten. Das Bürgertum macht seinen ehemals ausschließlich finanziellen Einfluss durch Bildung und Leistung geltend. „Ich denke, also bin ich.“ Die neuen bürgerlichen Funktionseliten organisieren sich in Sozietäten, Lesegesellschaften und Geheimbünden wie der Freimaurerloge und bauen damit ein sich zunehmend weit verzweigtes kommunikatives Netz durch mehrere Zugehörigkeiten auf. Die intermediale Vernetzung folgt in logischer Konsequenz. In der Klassik und dem Sturm und Drang werden Philosophen zu Literaten, Literaten zu Theaterdramaturgen, Dramaturgen zu Prinzenerziehern, Prinzenerzieher zu Vätern – kurz: Sie wechseln ihre gesellschaftlichen Rollen bedarfsorientiert. Sie nehmen sich die Freiheit, die Religion konsequent durch politisches Handeln, Kunst und Kultur zu ersetzen, lösen die Polemik von Religion und Philosophie auf und stellen damit der Philosophie mit der Kultur ein weiteres Säkularisat zur Seite, um die Aufklärung konsequent und lustvoll voranzutreiben und die Glaubenslücke, die vormals durch Religion gefüllt war, mit Sinn zu füllen und so über Kultur nationalen Identifikationswert zu stiften. Religiöse idealistische Geschichtsschreibung wird durch kulturelle Sinngeschichtsschreibung Schritt für Schritt abgelöst. Die Romantiker unterstützen diesen Prozess mit dem Rückbezug auf Themen der mittelalterlichen Kultur, indem sie deutsche Volksmythen in Sagen und Liedgut ins Zentrum des Schaffens stellen, gleichzeitig aber die deutsche Sprache und das Bürgertum fokussieren. Die Romantik liefert damit die Grundlagen für unser gegenwärtiges Selbstverständnis als Privatmenschen und öffentlichen, das heißt politischen Menschen sowie dem Verständnis von sozialen und gesellschaftlichen Strukturen. Die romantische Integration von Kunst und Kultur in das alltägliche Leben hat die Modernisierung ins Private und damit in die Mitte der Gesellschaft getragen. Religion als einziger Bezugsrahmen und Konstante wurde innerhalb eines Zeitraums von weniger als 150 Jahren aufgelöst und die Basis für das wertende, empfindende, denkende Individuum gelegt. Seither ist Fortschritt und Scheitern jedes Einzelnen möglich, der frei, absichtsvoll und damit selbstverantwortlich entscheidet und handelt.

Kritik an der Aufklärung:
Die Aufklärung hat ihren Ausgang bei standesübergreifenden Funktionseliten, die die Säkularisierung vorerst ideologisch motiviert vorantrieben und ebenso gezielt wie die christliche Religion eine Trennung von Geist und Materie, eine Trennung von Verstand und Emotionen forcierte, dabei aber dem Verstand mehr Bedeutung beimaß.
Damit negiert die Aufklärung Persönlichkeits- und Geschlechterdifferenzen und liefert keine Antworten auf Genderfragen und Fragen die menschliche Psyche betreffend. Die Akteure der Klassik und Romantik haben Kunst und Kultur als Korrektiv dieses Missstandes weiterentwickelt, das auch heute in seiner freien Ausübung noch zu wenig Anwendung findet.
Den Menschen und seine sozialen Aktivitäten ausschließlich vernünftig, das heißt schlussendlich systemtheoretisch, zu betrachten, ist die Ursache für unsere gegenwärtigen gesamtgesellschaftlichen Probleme, die konsequent individuelle Bedürfnisse missachtet und dem Individuum schlussendlich eine „Planstelle“ im angenommenen System der Gesellschaft zuweist, statt von individuellen Bedürfnissen ausgehend Gesellschaft partizipativ zu gestalten. Die Errungenschaften der Aufklärung ersetzen das religöse Korsett durch das vernünftige Korsett – der Mensch ist mehr! In einer Zeit, in der sich heraus gebildete Ich-Identitäten Fähigkeiten der Selbstreflexion auf ihrem Bildungsweg aneignen, romantische Familienmodelle sich selbst überholen, Grenzen zwischen Wissen und gesellschaftlichen Systeme maximal durchlässig erscheinen und die Möglichkeiten der freien Kulturproduktionen und der Kunstrezeption durch das überstarke wirtschaftliche System und den damit verbundenen Konsequenzen für Kunst und Kultur sukzessive eingeschränkt werden, erscheint es unverantwortlich die individuelle Psyche und Gefühlswelt ins System der Intimität abzuschieben und somit aus dem gesamtgesellschaftlich Bezugssystem auszuklammern. Die reine Vernunft darf niemals siegen! Denn ihr ist Empathie unbekannt. Empathie hingegen ist die Basis für gelingende Kommunikation, reflektierte das heißt selbstständige Entscheidungen und insbesondere der Krisen- und Konfliktbewältigung sowohl innerhalb des Systems „Mensch“ als auch innerhalb des gesellschaftlichen Systems. Daher kann eine Pädogogik, die ausgehend von der Aufklärung kulturelle Bildung ausschließlich zu Erziehungszwecken hin zur Vernunft instrumentalisiert und so ausschließlich kognitives Wissen ins Zentrum des Interesses stellt, nicht zur Bewältigung der gegenwärtigen gesellschaftlichen Herausforderungen angesehen werden. Dass haben auch Goethe und Schiller verstanden und insbesondere Schiller verlieh in seinen Briefen über die ästhetische Erziehung konsequent der allgemeinen Persönlichkeitsbildung mit ästhetischen Mitteln Nachdruck.

Kritik am Bildungs- und Forschungskonzept:
Auch wenn die Klassik eine kulturelle Identität der deutschen Nation hervor gebracht hat, kann dies im Zeitalter globaler Handels- und Kommunikationsnetzwerke keine Orientierung mehr haben. Nationen sind ausgehend von Frankreich eine Erfindung des 18. Jahrhunderts -seinerzeits angemessene Strategie der Problembewältigung erscheinen sie heute wie auch andere Universallösungen obsolet. In einer Zeit, in der ausgehend von der künstlerischen Avantgarde des Dada und des Kubismus wie nie zuvor das Prinzip Collage in alle sich immer weiter verzweigende gesellschaftliche Subsysteme eindringt und die funktionaldifferenzierte Gesellschaft zur Realität geworden ist, definiert sich kein aufgeklärtes und empathisches Individuum über seine Nation, sondern vielmehr über sich selbst, seinen freien Willen, Individualität, Integrität und seine Peergroup. Die einende Kraft von Nationen, die später durch das Wirtschaftssystem ersetzt wurde, ist verpufft. Nicht umsonst legt die EU zahlreiche Förderprogramme auf, die die kulturelle Identität, die reflektierte Eigentätigkeit und interkulturelle Kommunikation fördern sollen. Identitätsstiftung muss beim Individuum und seiner Integrität ansetzen und erst in einem zweiten Schritt die Integration in Systemen beleuchtet werden. In der Pädagogik heißt das Zielgruppenorientierung, Kritiker schreiben Anarchie darüber. Wie in der modernen funktioal-differenzierten Gesellschaft eine Universal-Ethik ausgeschlossen ist, kann auch kein anderes System als universelles System anerkannt werden. Wie die Dichtung im 18. Jahrhundert die Störung vermeintlich sicheren Wissens zum Ziel hatte, kann ein kultureller Bildunganspruch der Klassik-Stiftung kein anderes Ziel verfolgen, ohne sich selbst und die Errungenschaften des Kosmos Weimar in Frage zu stellen.
Die im Forschungs- und Bildungskonzept 2010 enthaltenen Anmerkungen zu den Zielgruppen und daraus abgeleiteten Konsequenzen müssen in Teilen als Farce verstanden werden, wenn beispielsweise Willen bekundet wird, „die oftmals heterogenen lebensweltlichen Erfahrungen offensiv in den Blick“ zu nehmen und „Vorbehalte ebenso wie Verständnisbarrieren“ zu überwinden, im selben Atemzug allerdings ernsthaft die vorgeschlagene Frage „Wie viel Bürgertum steckt im Schloss?“ ausschließlich hinsichtlich der Zielgruppe kritisiert wird. Die Zielgruppe sind hier Schüler und Schülerinnen im Alter von 11 und 12 Jahren.
Dass Vermittlung kognitiven Wissens und Handlungswissens als Spagat verstanden und mit nötigem Respekt behandelt wird, leuchtet ein. Die Kulturelle Bildung, die Soziokultur und die Sozialpädagogik haben hier funktionale Methoden entwickelt, die reflektiert und bei konsequenter Beachtung der zielgruppenspezifischen Bedürfnisse zum Einsatz kommen müssen, um nicht in ihrer Wirksamkeit an Kraft zu verlieren. Dann könnte der Satz „In diesem Kontext können niedrigschwellige Angebote erste Zugänge eröffnen und damit den Grundstein für eine vertiefende Auseinandersetzung mit den in Weimar präsenten kulturellen Überlieferungszusammenhängen legen.“ auch eingelöst werden.
Mit Blick auf Schüler und Lehrer wird im Forschungs- und Bildungskonzept im deutschen Bildungswesen „tiefgreifende Transformationsprozesse“ und pädagogisch-didaktische Reformen benannt. „So wird etwa dem handlungsorientierten und fächerübergreifenden Lernen und außerschulischen Projekten ein immer höherer Stellenwert zugemessen. Zunehmend etabliert sich eine Lernkultur, die den kulturellen und sozioökonomischen Veränderungen im Gefolge der Globalisierung Rechnung trägt.“ Schulklassen soll eine projektorientierte, selbsttätige und kreative Annäherung an die Weimarer Klassik und das Bauhaus eröffnet werden, mit dem Ziel des nachhaltigen Wissenserwerb und Erwerb von Schlüsselkompetenzen. Dabei sollen insbesondere Schüler und Schülerinnen aus Förderzentren, Haupt- und Regelschulen vor allem mit Ausdrucks- und Kommunikationsformen der Jugendkultur angesprochen werden, obwohl auch 2011 Jugendkulturen „standesübergreifend“ sind. Die Klassik Stiftung wird in den nächsten Jahren niedrigschwellige Angebote entwickeln, dafür braucht es einschlägig erfahrene Pädagogen.
Diesen Absatz unterschreibe ich ohne Widerrede, sobald die Wege geebnet werden, diesen Anspruch einzulösen. Heute sind das reine Willensbekundungen – nicht hinreichend eingelöst. Aber um den Bogen zum Bauhaus aus Weimar zu spannen: Form follows function.
2011 gilt „Form follows content“.

Wie klingt Dein Weimar?

Am Samstag, den 18.12.2010, 18.00 Uhr präsentiert Radio Lotte und das Künstlerkollektiv iOver im Rahmen von „City of X – Das Lebensgefühl einer Stadt” das Hörstück “Stadtgeflüster” – ein Quasi-Audioguide, der sechs Orte aus der Perspektive von Weimarer Einwohnern vorstellt und zur Tour durch die Stadt einlädt. Veranstaltungsort ist Radio Lotte, Niketempel am Goetheplatz.

Das Projekt „City of X“ widmet sich dem Versuch eine zeitgenössische Perspektive auf die Stadt Weimar und ihre Randgebiete zu entwickeln. “Weimars Stadtbild ist geprägt von Touristengruppen und Stadtführungen, denen die Stadt als Kulisse für Erzählungen eines vorgeblich so geschehenen Weimars dient.” so Lucian Patermann, künstlerischer Leiter des soziokulturellen Projektes. City of X bedient sich dieser Strategie, des Erzählens einer Stadt, und erweitert den Fundus an Stadtgeschichten um die Perspektiven ihrer Bewohner.
Neun Weimarer haben Orte ihres Lebensraums zu einer Tour durch Weimar zusammengetragen. 3 Mal sind die Projekt-Teilnehmer die Tour gegangen. Kurze Interviews, Umfragen, Notizen, Assoziationsketten, Bildbeschreibungen und Gedichte sind entstanden – alles unter der Zielstellung diese Orte von Neuem kennen zu lernen. Aus den gesammelten Dokumenten dieser Rundgänge entstand das Hörstück “Stadtgeflüster”, ein Quasi-Audioguide.
Gemeinsam mit Audiopostkarten von verschiedenen Orten der Stadt, dem Mailboxexperiment „Wie klingt Dein Weimar?“ und dem Tagebuch wird „Stadtgeflüster“ auf dem Projektblog citydiaryx.blogspot.com veröffentlicht und im Januar bei Radio Lotte ausgestrahlt.

City of X im Netz:
Projektblog: citydiaryx.blogspot.com
Facebook: www.facebook.com/cityofx
Soundcloud: soundcloud.com/city-of-x

dm und die Deutsche UNSECO-Kommission haben aufgerufen, gute Ideen und Projekte für eine lebenswerte Welt von morgen einzureichen. Die IBUg ist ausgewählt und stellt sich vom 31. bis 26. Januar 2011 der Kundenabstimmung um den dm-Nachhaltigkeitspreis in der Meeraner Filiale.

Mehr Informationen www.ideen-initiative-zukunft.de

Ein Rektor schreibt Geschichte

150 Jahre zur Bauhaus-Universität Weimar – eine lange Geschichte mit Höhen und Tiefen, mit Kunst und Technik, mit Bauen und Gestalten. Gerd Zimmermann, der Rektor der Bauhaus-Universität, schreibt die Geschichte seit 40 Jahren mit.

In einem Interview beschrieben Sie die Bauhaus-Universität heute als „Serie von Paradoxien“. Können bzw. wollen Sie diese auflösen oder zumindest erklären?

Paradoxien in so fern, als hier scheinbar unvereinbare Welten verankert sind, die im Raum der Bauhaus-Universität ihre Verwandtschaft suchen : Einerseits das Antiakademische, das der Name „Bauhaus“ mitführt, andererseits die Konditionen einer Universität, einerseits die Kunst, andererseits die Wissenschaft. Es geht nicht darum, Paradoxien aufzulösen, sondern darum, eine Vielgestaltigkeit zu stiften, die nur möglich ist, wenn man Widersprüche aushält und diese produktiv macht. Die Universität kann dann in der Tat ein Ort „unmöglicher Begegnungen“ sein.

Herr Zimmermann, an welche dieser Paradoxien knüpfen Sie als Rektor der Universität heute an?

Die Bauhaus-Universität verbindet die zwei Geschichten der Kunsthochschule einerseits und der jüngeren der Technischen Hochschule des Bauens. Diese beiden Geschichten sind im Szenario der heutigen Universität eingefangen, erweitert um die reflexive Dimension der Kultur- und Geisteswissenschaften, vornehmlich als Medienwissenschaft.

Erinnern Sie sich an Ihre Zeit als Student in Weimar: Sie promovierten 1974 auf dem Gebiet der Architekturtheorie an der Hochschule für Architektur und Bauwesen. Beschreiben Sie Ihren Studienalltag.

Das war schön! Ich habe 1965 begonnen, Architektur zu studieren. Der Studienalltag war spannend und anspruchsvoll, er war komplett ausgefüllt. Die Vorlesungen, Übungen, vor allem die zeichnerischen Arbeiten, Freihandzeichnen und die Entwurfsarbeit fanden Tag und Nacht statt. Genau so wie heute, allerdings mit anderen Werkzeugen. Computer gab es noch nicht. Unsere Werkzeuge waren der Bleistift, der so genannte Lineator (eine Ziehfeder), Reißschiene und Winkel, aber auch Schreibmaschine und „Ormig“.

Wie haben Sie die Hochschulreform 1968 erlebt?

Als Student in einer lebendigen und zugleich sehr kritischen Atmosphäre. 1968 war auch in der DDR eine kontroverse Zeit. Durch das politische Tauwetter war für einen Moment relative Offenheit gewonnen worden. Stadtutopien z.B. die doch immer auch gesellschaftliche Visionen bergen, hatten Raum, auch wenn sie sehr schnell an der Wirklichkeit zerschellten. Ich habe die 60er als Zeit des Aufbruchs in Erinnerung, auch mit neuen technischen und wissenschaftlichen Ansätzen, trotz der latenten politischen Restriktionen.

Gehen wir nochmals 100 Jahre zurück: 1860 – Sie in Weimar. Bleiben oder gehen?

Eine interessante Vorstellung, vielleicht hätte ich gezeichnet, gemalt. Ich bin jedenfalls froh, dass heute an der Bauhaus-Universität das Bild eine prominente Rolle spielt, sei es der Film, oder eben auch die Malerei.

Mit der politischen Wende 1989/1990 setzte ein Prozess des Umbaus der Universität ein. Sie wurden zum Professor für Entwerfen und Architekturtheorie berufen und im gleichen Jahr zum Rektor gewählt. Ihre erste Amtshandlung?

Das war im November 1992… Ich übernahm die Amtskette und ich hielt eine Antrittsrede. Damals habe ich das Konzept einer Universität skizziert, die das Bauen und das Gestalten in sich eint, die sich konzeptuell, aber nicht als Imitation auf das Bauhaus bezieht und die den ökologischen Umbau der Gesellschaft betreibt.

Ihre Amtszeit als Rektor geht in das letzte Jahr, Sie haben fast 40 Jahre Universitätsgeschichte mitgeschrieben. Wie haben Sie zur Fortschreibung der Geschichte beigetragen?

Das müssen irgendwann Andere beurteilen. Wir leben ja in einer Welt tiefgreifender Umbrüche. Universitäten als Schlüsselinstitutionen der Wissenschaften und Künste müssen dies verstehen und gestalten. Mein Ziel war und ist, die Bauhaus-Universität derart aufzubauen, dass sie wie ein Seismograph der Moderne funktioniert, am Puls der Zeit gewissermaßen. Ihr Beitrag dann erwächst aus der einzigartigen Konstellation, der Oszillation zwischen Wissenschaft und Kunst. Und das muss natürlich jeden Tag neu gedacht werden.
Scientific Communities waren immer schon und sind heute erst recht weltumspannend. Gerade für die Bauhaus-Universität, die doch ein globales Label vertritt, ist diese Internationalität, von Europa nach Tokyo, Shanghai, San Diego und Chicago – und zurück – ein Lebensnerv. Mir ist dies jedenfalls wichtig. Und dann die Rückwirkung auf den Ort, auf Weimar und Umfeld, z.B. durch Einrichtungen wie das Transferzentrum Design, die Gründerinitiative Neudeli oder die Universitätsgalerie Marke.6 im Neuen Museum, nicht zu reden davon, dass die Bauhaus-Universität der größte Arbeitgeber der Stadt ist und Weimar vor allem durch seine Hochschulen nach dem Bevölkerungsdurchschnitt nach Jena die zweitjüngste Stadt Thüringens ist.

Was zählen Sie zu den größten Errungenschaften seit ihrem ersten Tag an der Universität?

Sagen wir, in fünfzehn Jahren als Rektor die Grundkonstruktion eines neuen Bauhauses, eines Bauhauses in der digitalen Kultur.

Welche „Entwürfe“ haben Sie noch in petto?

Ich nenne Ihnen mal ein paar Stichworte: „Professional School“ in der Universität, Gründerzentrum für Kreativwirtschaft in Weimar, „Science City“ in Weimar, Filmfestival Weimar, Internationale Bauausstellung (IBA) in Thüringen bis 2019.

2009 feierte die Universität die Gründung des Bauhauses in Weimar im Jahr 1919. 2010 wird die Geschichte zur Bauhaus Universität um 60 Jahre verlängert. Was wünschen Sie der Alma Mater?

Die zwei Daten markieren zwei Neuanfänge: Die Gründung der Kunstschule 1860 war ein Neuanfang, die Bauhaus-Gründung sowieso. Ich finde es wichtig, dass wir in der Lage sind immer wieder neu zu beginnen, was ja nicht bedeutet, die Geschichte zu verwerfen, wohl aber, sich nicht an sie zu klammern. Darauf kommt es an: Immer nach vorne denken, die zukünftigen Notwendigkeiten heute plastisch verstehbar machen und entsprechende Konzepte entwickeln. Wir sollten Avantgarde sein. Das wünsche ich der Bauhaus-Universität auch in Zukunft.

Wir wünschen viel Erfolg und alles Gute für die nächsten 150 Jahre!

Maxi Kretzschmar im Kulturjournal Mittelthüringen 05/2010: Wein und Kultur – in der Toskana des Ostens

Mehr Informationen unter www.uni-weimar.de

„Als Gewerk bezeichnet man handwerkliche und bautechnische Arbeiten im Bauwesen sowie historisch im Bergbau und dessen Umfeld.“ Danke, Wikipedia! Das passt nicht ganz auf das geWERK in Erfurt!
In der Landeshauptstadt ist das geWERK ein Verein zur Förderung eines zeitgenössischen Kunst. Da – wie wir wissen – Kunst von Können kommt, kann auch Kunst ein Handwerk sein: Künstler bauen Ideen, manchmal auch Häuser, um ihren Ideen ein Bild und vor allem Raum zu geben.
In der Rudolfstraße hinter dem Petersberg entsteht just in diesem Momente solch ein Künstlerhaus. Das heißt, das Haus ist da, die Idee dahinter entwickelt sich work in progress. In den 11 Ateliers wird gemalt und geschraubt, in der Druckwerkstatt entstehen Hoch- und Tiefdrucke, die in der hauseigenen Galerie der Öffentlichkeit präsentiert werden. Die Galerie ist Treffpunkt der Künstler und Ort des Austauschs. Neben den geWERK-Künstlern werden auch Künstler aus ganz Thüringen ausgestellt.
Zu Lesungen und Konzerten gibt es zarte Töne und zuweilen harte Worte auf die Ohren. Verschiedenheit hat hier ihren Platz und befruchtet sich wechselseitig: Handwerk und Kunst gehen nach bester Bauhausmanier (Weimar) bzw. Mittelaltermanier (Erfurt) Hand in Hand! Wilhelm Dietel, Theatermaler mit grafischen Schwerpunkt beschreibt den geWERK-Gedanken so: „Alles steht auf Anfang und das immer wieder.“
Dass die Künstler und Lebenskünstler unterschiedlichen Alters und Genres voneinander lernen, gemeinsame Sache machen und sich als Gemeinschaft verstehen, ist Anliegen von Gründungsmitglied Thomas Thyes. Er glaubt, dass die Generationen voneinander profitieren: die Jungen von der handwerklichen Perfektion und der Lebenserfahrung der Alten und die Alten von der Energie und Tatendrang der Jungen. Gemeinsam bleiben sie fit und arbeiten interdisziplinär mit Mitteln der Kunst, Musik, Literatur und Theater an ihren Projekten. Das erfordert eine hohe Toleranz von allen geWERKlern, ist es doch für viele ungewöhnlich eine Weihnachtsgala mit Kunstauktion zu erleben. Und wenn dazu eine Heavy-Matel-Band spielt, bedarf es Offenheit sowohl beim Publikum als auch bei den Künstlern. Die permanente Diskussion des Gezeigten unterstützt den gemeinsamen Entwicklungsprozess. Die kurzen Wege im Haus und im Netzwerk lassen diesen hohen Grad an Spontaneität zu und so können Veranstaltungen und Ausstellungen mit einem Zeitfenster von vier Wochen im Voroaus geplant werden. Dass dabei Qualität gewahrt bleibt, ist Christoph Schaffarzyk zu verdanken. Er ist jüngstes Vorstandsmitglied und zeichnet sich für das Ausstellungs- und Veranstaltungskonzept verantwortlich. Er ist es, der dem geWERK eine Verjüngungskur verpasst hat und seit ca. einem Jahr kontinuierlich das Profil erweitert und anreichert – gemeinsam wachsen, weiter geht´s!

Mehr Informationen unter www.gewerk-erfurt.de
Maxi Kretzschmar in hEFt – für literatur, stadt und alltag, Juli 2010

Projektideen kompetent verwirklichen mit dem Wissen aus Wirtschaft und gemeinnützigem Bereich: Wie das geht zeigt das Trainingsprogramm der Civil Academy, für das sich jetzt wieder freiwillig Engagierte zwischen 18 und 27 Jahren mit einer Projektidee bewerben können. Bewerbungsschluss ist Sonntag, der 18. Juli 2010. Eine fachkundige Jury wird die Auswahl treffen. Die drei Kompaktseminare des Programms zu Projektmanagement, Fundraising und Öffentlichkeitsarbeit werden im September, Oktober und Dezember stattfinden. Die Projektideen, die dort bis zur Umsetzungsreife weiter entwickelt werden, können aus einem beliebigen Engagementbereich kommen, sei es Soziales, Bildung, Umwelt oder Kultur. Am Ende der Kurse gibt es ein Zertifikat.

Mehr Informationen unter www.civil-academy.de

Gisela Höhne ist eine kleine Frau. Sie grüßt mit festem Händedruck und strahlt mit ihrem Perlmutohrring um die Wette. Wir treffen uns im Café des Theaters RambaZamba. Malereien, Grafiken und Keramiken, die in den Werkstätten des Trägervereins Sonnenuhr e. V. entstanden sind, schmücken die Wände. Das Ensemble trudelt ein. Es wird gegessen und das Neueste ausgetauscht, bevor das tägliche Training und die Proben für die Abendaufführung beginnen.
Hier arbeitet Gisela Höhne. Gemeinsam mit ihrem Ensemble und ihrem Lebensgefährten, Klaus Erforth, hat sie in den letzten 20 Jahren „Deutschlands wichtigstes integratives Theater“ aufgebaut – das Besondere: Geistig Behinderte machen das Gros der Gruppe aus und sind dabei auf der Bühne so authentisch, dass sie Schauspieler ohne Handicap an die Wand spielen. Das fasziniert Gisela Höhne auch heute und sie weiß, dass diese schauspielerischen Fähigkeiten einzigartig sind. Wenn sie mit ihrem Ensemble probt, dann setzt sie auf die emotionale Intelligenz ihrer Bühnenkünstler, denn bei der Arbeit mit Behinderten werden Unklarheiten im Stück und den Regieanweisungen sofort entlarvt. Um sich einem Stoff zu nähern, lässt die Regisseurin zu Beginn freie Assoziationen – „Wildwuchs“ wie sie sagt – zu, um sich einen Überblick zu verschaffen und das Stück „aus den Schauspielern heraus“ zu entwickeln. Dann holt sie gärtnergleich das Beste aus den Spielern und die Inszenierung wächst. Ihre Erfahrungen als Schauspielerin helfen ihr dabei sehr: „Man kriecht besser rein.“ – sowohl in die Rollen als auch die Darsteller. Überhaupt ist Höhne eine absolute Praktikerin: Neben dem Leben auf der Bühne, hat sie die Arbeit hinter der Kamera und als Regisseurin beim Film kennen gelernt. Daneben hat sie studiert: Nach Verweigerung ihres Wunschstudienplatzes Psychologie wegen ideologischer Differenzen zur „Psychologie des Arbeiter- und Bauernstaates“ studierte sie Filmregie in Babelsberg, Schauspiel an der heutigen Ernst-Busch-Schauspielschule und Theaterwissenschaften an der Humboldt-Universität Berlin. Der praktischen Arbeit lässt sie dennoch den Vortritt. Und das ist gut so! Denn die Theaterarbeit fasst einerseits Höhnes Erfahrungen zusammen und ist so Ausdruck einer unerwarteten Kontinuität ihres Lebens, andererseits auch Arbeit, Broterwerb. Nach der Geburt ihrer beiden Kinder, Moritz hat das Down-Syndrom, kehrte sie dem Theater vorerst den Rücken zu. Nach kurzer Zeit verhandelte sie ihre Erwartungen an Leben und Bühne neu und befand, dass sie die extreme Herausforderung annehmen und Menschen mit Behinderung ermöglichen will, mit ihrer Kunst gesehen zu werden. Dem inneren Kampf mit der Erfüllbarkeit der eigenen und fremden Erwartungen und Wertmaßstäben bot die Reaktion von Ensemble und Publikum schnell Einhalt – die Schauspieler berühren darüber, wie sie Geschichten erzählen. Heute kann das Theater auf 21 Produktionen, die in Berlin und über 100 Gastspielen in ganz Europa zu sehen sind, zahlreichen Workshops, Zirkusshows, Kunst- und Theaterfestivals zurück blicken.
Für die Schauspieler stellt das Spiel auf der Bühne laut Höhne einen Durchbruch dar – sowohl gesellschaftlich als auch für die Akteuere selbst. Von als defizitär wahrgenommenen Wesen entwickeln sie sich mit Betreten des Bühnenraums zu Personen des öffentlichen Lebens. Dabei ist Anschauen ausdrücklich erwünscht, denn die Schauspieler treten nicht umsonst vom Dunkel ins Licht. „Im Theater siehst du den Menschen, einen Besonderen, Gezeichneten.“ 2007 richtete der Verein geschützte Arbeitsplätze für die besonderen Theater- und Kulturschaffenden ein, seither ist die Zahl auf 30 angestiegen.
Die Schauspieler sind stolz, einen priviligierten Job zu haben, dabei wollen sie einfach nur Schauspieler sein, keine Stars. Gisela Höhne und ihre Ensemble sind sich einig: „Alle Rollen sind wichtig.“ – sowohl auf der Bühne des Theater als auch im Alltag. Das Publikum wiederum erlebt die Inszenierungen als Kunst statt Therapie. Die eigenen Vorurteile kollidieren mit dem Wahrgenommenen. Das Weltbild wird erschüttert und eine klassische Katharsis setzt beim Publikum ein. Höhne glaubt: „Wenn die Leute, besonders Kinder und Jugendliche unsere Stücke sehen, gehen sie später anders mit der eigenen Zukunft und ihren Kindern um.“ Damit begibt sie sich in die Tradition von Bertolt Brecht und setzt ganz auf die gesellschaftsbildende Kraft von Theater.
Wenn Höhne fragt „Was bedeutet Theater?“ dann meint sie „Was bedeutet Leben?“

Porträtiert wurde: Gisela Höhne, geb. 1949 in Thüringen
Schauspielerin und Mitbegründerin des Vereins Sonnenuhr e. V., für den sie seit 1991 als Regisseurin und künstlerische Leiterin tätig ist.
2009 erhielt sie das Bundesverdienstkreuz und zahlreiche weitere Auszeichnungen für ihre integrative Theaterarbeit.
Das Theater RambaZamba feiert am 1. September 2010 mit dem Friedens-Fest 20jähriges Jubläum. Wir gratulieren!

Maxi Kretzschmar in soziokultur 2/2010

Die Wiener machen´s vor:

Guerrilla kommt aus dem Spanischen und bedeutet ‚kleiner Krieg’. Auch wenn der Kampf der Gehsteig-Guerrilleros ein friedlicher ist, so ist es dennoch ein lautes Aufbegehren gegen bürokratische Hürden, unreflektierte Verhaltensgewohnheiten und ein Aufruf zu mehr Toleranz und Rücksichtnahme im öffentlichen Raum. Deshalb laden die Gehsteig-Guerrilleros am 28. Mai zum GehsteigFESTIVAL in der Großen Neugasse 6-8, um gemeinsam mit Freundinnen und Freunden das Potenzial unseres Stadtraums auszuloten und mit Nutzungen zu experimentieren.

So vieles ist möglich! Die Straße bleibt befahrbar, der Gehsteig begehbar und doch ist Raum für mehr. Der Asphalt wird zum Catwalk, die Parkplätze zu Spielplätzen und das Pflaster zu deiner Oase!

Serviervorschlag:
1. Nimm einen Sessel, oder irgendetwas, auf dem du dich wohl fühlst!
2. Geh raus und such dir einen schönen Platz am Gehsteig!
3. Sei rücksichtsvoll und lass ausreichend Platz für andere!
4. Genieße die Zeit im Freien und lerne Menschen aus der Umgebung kennen!
5. Mach deine Stadt zum Wohnzimmer!

Mehr Informationen unter www.facebook.com

Klassenzusammenlegung, ausgesetzte Zensuren, wegfallende Förder- und Integrationsstunden, Parallelunterricht in unterschiedlichen Klassenstufen: Die aktuelle Situation an der Paul-Robeson-Grundschule im Leipziger Nordwesten ist dramatisch. Grund ist der durch Krankheit und andere objektive Umstände verursachte extreme Lehrermangel. Der Regionalstelle Leipzig der Sächsischen Bildungsagentur sind jedoch weitestgehend die Hände gebunden. Sie hat schlichtweg kaum noch Ersatz.
„Das ist doch sinnlose Beschäftigungstherapie, wenn teilweise eine dritte und ein vierte Klasse in zwei Räumen von einem Lehrer betreut werden“, sind Eltern mit den Zuständen in der Paul-Robeson-Grundschule unzufrieden. Und der Sportunterricht werde derzeit nur noch von nicht ausgebildeten Lehrern durchgeführt. „Hauptkritikpunkt ist aber, dass aufgrund des krankheitsbedingten Ausfalls von zwei Lehrerinnen die beiden ersten Klassen zusammengelegt wurden“, so die Eltern, die dagegen auch schon Unterschriften gesammelt haben. Für die Integrationsschüler fielen zudem die Förderstunden weg.
Roman Schulz, Sprecher der Bildungsagentur Leipzig, kennt das Problem: „Wir haben als Behörde eine bestimmte Stellenzuweisung, mit der wir regional die Schulen managen müssen.“ Im Grundschulbereich gebe es „praktisch keine Reserven“. Die Spielräume seien eng. „Wenn eine Einrichtung ein relativ kleines Kollegium hat, wie die Paul-Robeson-Grundschule, kann es bereits beim Ausfall von ein, zwei Lehrern eine extreme Situation geben.“ Man verfüge zwar grundsätzlich für Notfälle über ein Rettungssystem, das als ersten Schritt schulinterne Lösungen, dann die Einbeziehung von Lehrern benachbarter Grundschulen respektive als letzte Möglichkeit der Zugriff auf Lehrer anderer Schularten vorsieht, doch könne er den Ärger der Eltern bei Klassenzusammenlegungen oder abgeordneten Lehrern, die ständig wechseln, durchaus verstehen. Ähnliches habe es vor Weihnachten auch in der Zwenkauer Grundschule gegeben.
„Ziel ist es, nach den Osterferien alles abgesichert zu haben“, blickt der Mitarbeiter der Bildungsagentur voraus – wohl wissend, dass angesichts des offensichtlichen Lehrermangels im Freistaat gerade im Grundschulbereich, keine alle zufrieden stellenden Lösungen angeboten werden können. Konkret soll laut Schulz über Abordnungen von Lehrern „das Hauptgeschäft abgesichert“ werden. So bitter es auch sei, alles sei besser als Stundenausfall.
Ob die pädagogisch problematische Zusammenlegung der beiden ersten Klassen rückgängig gemacht werden kann, ist jedoch offen. Zunächst soll offenbar versucht werden, mit einem zeitgleich agierenden zweiten Lehrer in der 28 Schüler zählenden Ersten für eine Entspannung der Situation zu sorgen. „Wir sind nicht froh über den derzeitigen Status quo“, so Schulz. Doch sei es schwer, über befristete Anstellungen oder Jobs auf Honorarbasis entsprechendes Personal zu erhalten. (Martin Pelzl)

LVZ, 25. März 2010